INSCRIPTUM #1 • Konzert und Videoinstallation • 2009

Halbszenisches Konzert und Videoinstallation

• 13. Juni 2009, 20:30, Predigerkirche Zürich
• 14. Juni 2009, 20:30, Predigerkirche Zürich

Im Juni 2009 finden die ersten beiden Aufführungen von «inscriptum» statt. Unter der Leitung von Christian Döhring und in der Inszenierung von Serge Honegger führen Chor und Solisten Werke von Kurt Weill, Dmitri Schostakowitsch und Erich Zeisl auf. Die Schauspielerin Charlotte Heinimann liest Texte aus Werken von Attar, Hugo Ball, Elfriede Jelinek und anderen. Eine Videoinstallation von David Schlatter mit dem Porträt der Schauspielerin kommentiert auf einer visuellen Ebene das Programm.

Mitwirkende

Musikalische Leitung: Christian Döhring
Regie & Konzeption: Serge Honegger
Video: David Schlatter
Schauspielerin: Charlotte Heinimann
Klavier: Ute Gareis
Sopran: Franziska Strässle
Alt: Antonia Frey
Tenor: Raphael Höhn
Bariton: Martin Ulrich
Chor: ensemble clamor ultimus

Programm

Texte von Friedrich Nietzsche, Gabriele Alioth, Attar
Kiddush – für Soli, gemischten Chor und Klavier (Kurt Weill, 1900-1950)
Texte von Elfriede Jelinek, Georg Büchner
Aus jiddischer Volkspoesie – für Soli und Klavier (Dmitri Schostakowitsch, 1906-1975)
Texte von Franz Kafka, Gabriele Alioth, Hugo Ball
Requiem Ebraico – für Soli, gemischten Chor und Klavier (Erich Zeisl, 1905-1959)

Videoinstallation
Das Hauptmerkmal der Installation zu inscriptum #1 bildet die Akzentuierung des blinden Portals: In dieses wird das Videobild der Schauspielerin Charlotte Heinimann projiziert (Video David Schlatter). Das Arrangement referiert auf die lange, seit der Renaissance bestehende Tradition der Porträtmalerei und übersetzt diese in ein neues Medium.
Während des Konzerts blickt die Schauspielerin im Video auf das Publikum hinunter, versinkt während des Musikhörens in Gedanken und gelangt in verschiedene Gemütsverfassungen. Ihre durch das Bildformat bestimmte Rolle zwingt sie zur Passivität, Sprachlosigkeit und hindert sie daran, aus dem Bild heraus zu agieren und in das Geschehen der Welt einzugreifen. Als stumme Kassandra blickt sie über die Köpfe des Publikums in eine nahende Zukunft, die ihre Gestalt noch nicht zeigt, oder in eine ebenso zu befragende Vergangenheit.
Die Videoinstallation soll zusammen mit dem gesprochenen Text das Publikum dazu anregen, die Kompositionen von Zeisl, Weill und Schostakowitsch in verschiedenen Kontexten zu lesen. Die drei Komponisten stehen je für eine unterschiedliche Herangehensweise und Fruchtbarmachung von jüdischen Musiktraditionen.

Textmaterial
Ausgangspunkt des textlichen Materials bildet eine Bildbeschreibung («Die dunkelste Stunde») der Schriftstellerin Gabrielle Alioth. Dieser Text ist die dichterische Umsetzung eines abstrakten Gemäldes von Michael Biberstein (Parallel Attractor II) von 1991. Der Text fasziniert durch die Evokation eines dunklen Raumes, der nicht nur auf konventionelle Weise an Angst, Tod oder andere dunkle Gefühle, Ahnungen und Themen denken lässt. Vielmehr geht Gabrielle Alioth auf spielerische, fast naive und staunende Art mit sprachlichen Mitteln an das dunkle Bild heran. Weitere Texte stammen von Hugo Ball, Georg Büchner, Elfriede Jelinek, Franz Kafka, Friedrich Nietzsche und dem aus dem 12. Jahrhundert stammenden islamischen Mystiker Attar.

Requiem Ebraico – für Soli, gemischten Chor und Klavier – Erich Zeisl (1905-1959)
1905 in Wien geboren, zählte Erich Zeisl zu jenen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ab dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich mit zahlreichen Repressalien konfrontiert waren, bevor ihm im Herbst 1939 die Flucht über Frankreich in die USA gelang. Sein Wohnsitz wurde Los Angeles, wo er bis zu seinem frühen Tod 1959 als Komponist und Lehrer wirkte.
Das 1944/45 entstandene Requiem Ebraico gehört zu jenen Gedenkstücken, die eng mit der persönlichen Biographie ihres Autors verknüpft sind und dadurch einen besonders hohen Grad an inhaltlicher Authentizität vermitteln. Der Auftrag zu einer Komposition für den Synagogendienst fiel zeitlich mit dem Erhalt der Nachricht vom grausamen Tod des Vaters und der Stiefmutter im Holocaust zusammen. Die neue Komposition wurde daher als Requiem konzipiert, obwohl der von Zeisl gewählte Text – der 92. Psalm – keineswegs im Sinne eines Totengedenkens zu verstehen ist. So gipfelt das Werk, das musikalisch einer spätromantisch-tonalen Richtung folgt, in einer als grossartige Steigerung angelegten, jegliche Trauer hintenanstellenden Schlussfuge.

Kiddush – für Soli, gemischten Chor und Klavier (Kurt Weill (1900-1950)
Kurt Weills Chorwerk «Kiddush» aus dem Jahr 1946 ist nur sehr selten in Konzertprogrammen zu finden. Kaum ein anderer Komponist hat den Rhythmus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so genau eingefangen wie der 1900 in Dessau geborene Kurt Weill. Seine jüdischen Wurzeln werden in bisherigen Weill-Biographien oft vernachlässigt. Dabei sind sie ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis des Komponisten und seiner musikalischen Entwicklung.
Im Kiddush, einem jüdischen Gebetsgesang, vier Jahre vor seinem Tod in New York komponiert, verschmilzt Weill die Musik seines Elternhauses und seiner frühen Kompositionen mit dem Jazz New Yorks und schafft eine musikalische Quintessenz seines Lebens in einmaliger provozierender Qualität.

Aus jiddischer Volkspoesie – für Soli und Klavier (1948) – Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Schostakowitsch hat in diesem Liedzyklus ostjüdische Lieder in seinem behutsam freitonalen Stil verarbeitet. Zu den acht klangvollen und grundtraurigen Liedern von Tod, Elend, Trennung und Not gesellen sich drei weitere Lieder ohne jüdische Vorlagen.
Schostakowitsch liebte die ostjüdische Volksmusik Musik über alles, weil es ihr auf für ihn einzigartige Weise gelang, den jahrhundertealten Schmerz eines ganzen Volkes in einer hinter- und abgründigen Heiterkeit aufzuheben. Joachim Braun hat die Kammermusik Schostakowitschs als Sprache des „inneren Widerstands“ gedeutet, mit guten Argumenten: Der Klezmer prägte nicht zuletzt jene Werke, die jahrelang unterdrückt oder in der Schublade versteckt blieben, wie das Zweite Violinkonzert, das Vierte Streichquartett oder die «Lieder aus jüdischer Volkspoesie», die im bedrückenden Klima der antizionistischen Säuberungen nach 1948 entstanden.

Bilder

 

Video

Presse

Zeitung „reformiert“ vom 29. Mai 2009 (PDF)
Medienmitteilung von Inscriptum (PDF)

Unterstützung

Für inscriptum #1 hat die mit dem Sohn von Arnold Schönberg verheiratete Tochter von Erich Zeisl – Barbara Schönberg-Zeisl – die Schirmherrschaft übernommen.

Nur durch die grosszügige Unterstützung der folgenden Institutionen und Personen können die Aufführungen realisiert werden:
Artephila Stiftung
Hans Vontobel Stiftung zur Förderung des Gemeinwohls
Alfred & Ilse Stammer-Mayer Stiftung AIS
Madeleine und Albert Erlanger-Wyler-Stiftung
Kirchgemeinde zu Predigern
Gabriele Alioth
Daniel Lienhard
Regina Meier (Theater Rigiblick)
Barbara Schönberg–Zeisl
Renate von Ballmoos

Wir danken dem Patronatskomitee «inscriptum» ganz herzlich für die Unterstützung der Aufführungen:
Kathrin Brunner, Dramaturgin, Opernhaus Zürich
Annina Dubs, Kunsthistorikerin, Zürich
Marc Meyer, Rechtsanwalt, Opernhaus Zürich
Bevan Taylor, Acting School Sidney